Mai Lan

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Salaheldin

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Ruth

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Peter

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Pavlo

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Michael

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Maryna

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Mamadou

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M. H.

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Irada

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Hubert

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Agnes

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Dimitrie

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Ahmad

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Agnieszka

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Abdi

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Peter Götz

Deutschland

2018

… denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Auszüge aus dem Interview

„Ich komme aus Baden-Württemberg, genauer gesagt aus Südbaden. Geboren bin ich in Schopfheim, einer Kleinstadt ganz in der Nähe von Basel. Die Familien meiner Groß­mütter lebten schon seit Generationen in diesem äußersten Zipfel Deutschlands.“

„Der Vater meiner Mutter stammt ursprünglich aus der Stutt­garter Ecke, genauer gesagt aus Bietigheim. Und mein Opa väterlicherseits ist in Grötzingen aufgewachsen, einer Ort­schaft ganz in der Nähe von Karlsruhe. Er hatte während des ersten Weltkrieges, ein ganz junger Mann noch, in Afrika als Soldat gedient dort die Malaria eingefangen, und sich dann Anfang der Zwanzigerjahre zum Polizisten ausbilden lassen. Es verschlug ihn ins Breisgau nach Freiburg. Dort lernte er meine Oma kennen, die, wenn ich mich richtig erinnere, bei einer Familie in Stellung war, und heiratete sie. Die Nazis ka­men an die Macht und eroberten in der Folge auf ihrem Frankreichfeldzug das Elsass, jene Gegend, die in der Ver­gangenheit je nach Kriegsglück immer wieder zwischen Deutschland und Frankreich hin und hergeschoben worden war. Meine Großeltern zogen nach Mülhausen (heute Mul­house), einer Stadt im Elsass, und mein Opa arbeitete dort in seiner Funktion als Polizeibeamter. Wie genau es dazu ge­kommen ist, und was seine Funktion war, lässt sich heute leider nicht mehr feststellen. Die, welche man hätte fragen können, sind in der Zwischenzeit alle gestorben.“

„Im November 1944 (mein Vater war damals fast vier Jahre alt) nahm Frankreich Mulhouse wieder ein und meine Groß­eltern mussten Hals über Kopf Richtung Deutschland fliehen. Und sie taten das, was am naheliegendsten war: Sie flohen in den Heimatort meiner Oma, nach Lipburg, in das Dorf, in dem sie aufgewachsen war, in dem auch ihre Eltern noch lebten, und das von Mulhouse nur etwa 25 km Luftlinie ent­fernt ist. Man wollte sie dort aber nicht haben, und äußerte dies auch unverblümt: "Ihr Dahergelaufenen! Geht dahin zu­rück, wo ihr hergekommen seid!“

„Was war dafür der Grund? Lag es an der kulturellen Prägung der Flüchtlinge? Wohl kaum. Der Ort war evangelisch, meine Großeltern waren es auch. Meine Oma war sogar eine Tochter des Dorfes. Man konnte ihr allenfalls vorwerfen, dass sie einen Städter geheiratet und den urwüchsigen Bur­schen im Dorf untreu geworden war. Und nun, das älteste Kind, meine Tante lmgard, war etwas arg flott zur Welt ge­kommen, was damals zumindest für Gesprächsstoff sorgte. Ich denke, der Grund für die Ablehnung war ein ganz anderer. Gegen Ende des Krieges begannen Wohnraum und Nahrung knapp zu werden. Und beides wollte man nicht teilen.“

„Jahzehnte später die große Wende, die aus einem geteilten land wieder ein vereintes machte. Begleitet wurde diese Wende von Migrationsbewegungen, in deren Verlauf viele aus dem Osten in den Westen übersiedelten. Anfangs wurden die Neuankömmlinge noch freudig begrüßt aber recht bald wurden im Westen Stimmen laut, welche diese Völkerwanderung eher kritisch bewerteten, und es waren durchaus auch Sätze zu hören in der Art, man möge den "antisozialistischen" Schutzwall wieder errichten. Ich kann mich noch gut an den Gedanken erinnern, den ein Bekannter meiner Eltern, ein Bauunternehmer, in diesem Zusammenhang äußerte: Wenn denn die Mauer wieder aufgebaut werden würde, dürfe man gerne noch zwei drei Reihen Backsteine oben drauf packen.“

„Logischeiweise gibt es Unterschiede zwischen Menschen, die 40 Jahre lang in völlig unterschiedlichen politischen Systemen gelebt haben. Solch eine lange Zeit prägt, aber es waren alles Deutsche. Und ich wage es, aus eigener Anschauung zu sagen, dass der Unterschied zwischen einem Sachsen und einem Alemannen sicher nicht größer ist als der zwischen einem Bayern und einem Hamburger. Hier waren es ebenfalls hauptsächlich wirtschaftliche Überlegungen, die zur Ablehnung durch einige wenige führten. Eine Erfahrung habe ich, relativ frisch verheiratet und auf der Suche nach einer neuen Wohnung (unser Vermieter hatte Eigenbedarf angemeldet), selbst gemacht: Wohnraum, an dem es ohnehin schon mangelte, wurde durch die Ankömmlinge aus Ostdeutschland noch knapper. Verstärkt wurde dieser Effekt zusätzlich durch die Einwanderung von Deutschen beispielsweise aus Russland, deren Vorfahren dort Jahrhunderte zuvor angesiedelt worden waren.“

„Und wenn nun heute, wieder drei Jahzehnte später, Vertreter von politischen Strömungen, die sich am rechten Rand bewegen, sagen, sie würden die Aufnahme von Flüchtlingen ablehnen, weil es ihnen um den Schutz der abendländischen Kultur geht, nehme ich ihnen das nicht ab. Wenn es jenen Politikern tatsächlich um den Erhalt der Kultur ginge, würden sie wohl kaum in ihrem Wahlprogramm die eine Reduzierung der Abiturientenzahlen fordern. Auch bei der Ablehnung von Flüchtlingen geht es um Besitzstandwahrung: Man möchte von dem Wohlstand, den wir in Europa haben, nichts abgeben, einem Wohlstand, der unter anderem auf der jahrhundertelangen Ausbeutung jener beruht, die jetzt immer fordernder an unsere Türen klopfen. Besitzstandswahrung ist das Bestreben des Individuums und der Gesellschaft, den erworbenen Wohlstand zu behalten, auch dann, wenn er Ergebnis eines ungerechten Systems ist.“

„Diese Haltung steckt im Menschen wohl drin. Und ich bin nicht so arrogant zu behaupten, dass ich nichts von dieser Haltung in mir tragen würde. Aber man möge so ehrlich sein, dies auch zuzugeben.“

„Die abendländische Kultur, auf die man sich gerne beruft, wurde und wird aus verschiedenen Quellen gespeist. Eine davon ist das Christentum. Und ein Element des Christen­tums wiederum ist der Satz, den man sich auch als nichtgläubiger Mensch hin und wieder ins Gedächtnis rufen darf: .( … ) Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen." (Matthäus 25, 35)

Dezember 2021

Fotos: David Nuglisch

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