Jürgen Opitz
Deutschland
Auszüge aus dem Interview
„Unsere Familien haben auch eine Migrationsgeschichte. Meine Mutter ist mit ihrer Mutter und drei Geschwistern hinter der Oder in Meseritz (Międzyrzecz) gewesen. Mein Opa, ihr Mann, war in russischer Kriegsgefangenschaft. Die Oma ist alleine mit vier Kindern und Handwagen 1945 losgezogen bis nach Berlin. Bei entfernten Verwandten ist sie untergekommen und hat später bei Wusterhausen/Nosse gelebt. Ihr jüngstes Kind ist auf der Flucht gestorben und ist dann im Straßengraben beerdigt worden.“
„Oma hat erzählt, wie schwierig es war, unterzukommen, weil, von den Einheimischen war keiner scharf darauf, die Leute aus dem Osten unterzubringen.“
„Die Schwiegermutter wurde aus Ungarn vertrieben. Der Vater war im Krieg geblieben. Sie war damals noch nicht einmal 50 und war eine gebrochene Frau. Sie lief immer in Tracht und bekam Feindseligkeit ab. Selbst als meine Frau 1955 geboren wurde, war sie auf ewig das Flüchtlingskind.“
„Die Mutter meiner Frau hat eine gusseiserne Küchenwaage mitgebracht. Damit hat sie sich abgebuckelt. Vielleicht war es das letzte, was sie sich angeschafft hat. Ich habe diese existenziellen Dinge wirklich ausgeblendet. Ich hoffe, dass ich nie in die Lage komme, solche Entscheidungen zu treffen.“
„Die eigene Großmutter hatte Betten dabei. Beide Familien sind mit Handwagen geflohen. Die Kinder mussten mit schieben.“
„Meine Frau und ich haben auch mal das Gedankenexperiment gemacht, wie man sich selbst im Ausland verhalten würde. Wir sind zu keinem Ergebnis gekommen. Da spielt auch eine Rolle, mit welcher Motivation und welchem Druck man Deutschland verlassen hat.“
„Meine Schwiegermutter ist seit drei Jahren im Pflegeheim. […] Wenn sie sagt, ich möchte nach Hause, dann meint sie Ungarn. Aber sie hat gar keine Verbindungen mehr dorthin. Aber das kommt dann wieder, selbst wenn sie als 14jährige dort weg ist. Das ist eine Aufgabe.“
„Aber vielleicht ist deine Heimat auch dort, wo dir so viel Unrecht geschehen ist. In den Tiefen des Herzens kann man das nicht abschütteln. Da kann man sich auch schwer entscheiden. Ich habe Empathie für die Leute, die hierherkommen.“
„Man kann mehrere Heimaten haben, das kann ich mir gut vorstellen. Für mich sind das, Sand und Kiefern in Brandenburg und die Eltern. […] Auch Heidenau ist absolut Heimat. Die Eingebundenheit in Familie und Freunde, in die Kirchgemeinde, die Kollegen und auch die politischen Begleiter vom Neuen Forum sind Heimat – ich wusste, ich engagiere mich für meine Heimat.“
„Die Küche der Mutter und Schwiegermutter ist sehr präsent. Strudelbacken ist fester Bestandteil der Schwiegermutter-Familie, auch Königsberger Klopse, Kohlrouladen und Kassler mit Bohnen gab es oft.“