Mai Lan

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Salaheldin

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Ruth

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Peter

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Pavlo

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Michael

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Maryna

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Maryam

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Mamadou

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M. H.

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Kurt

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Katja

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Jürgen

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Jochen

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Jens

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Ismail

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Irén

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Irada

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Hubert

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Agnes

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Dimitrie

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Ahmad

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Agnieszka

Agnieszka

Abdi

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Dr. Agnes Goldhahn

Deutschland

2016

Auszüge aus Interview

„Gerade beschäftigt mich das Ukraine-Thema sehr stark. Wir haben über 400 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Pirna. Die haben ganz viele Fragen. Sie müssen hier ankommen, sich orientieren, müssen bergeweise Formulare ausfüllen und brauchen dabei Unterstützung. Ich bin auch Ansprechpartner, aber im Idealfall weiß ich, wer helfen kann – ich vermittele. Manche rufen mich häufiger an. Die Leute wissen, dass sie damit weiterkommen. Und ich schaue, welche Akteure welche Angebote haben und wenn noch etwas fehlt, schaue ich, dass es gefüllt wird. Das sind zum Beispiel Beratungsdienste der Caritas, AWO, Diakonie, und dann haben wir auch Initiativen wie das Begegnungscafé, Stadtteilmanager, das Sozialkulturelle Zentrum auf dem Sonnenstein, die AG Sonnige Aussichten … Die machen Angebote für alle, nicht nur für Ukrainer und andere Geflüchtete.“

„Unterschiede Geflüchtete: die meisten Ukrainischen Geflüchteten sagen, sie wollen zurück, so schnell wie möglich, manche sind ja auch schon wieder zurück gegangen, etwa aus dem Westen der Ukraine, die zum Beispiel überstürzt geflohen sind und jetzt feststellen, man kann im Westen leben, der Krieg bleibt in der Ostukraine, die sind auch wieder zurück. Manche machen auch den Eindruck, als hätten sie nur auf die Chance gewartet irgendwo neu anzufangen, sind voller Motivation, sehr lernwillig und froh über die Chance hier, etwas Neues anzufangen. ES gibt ganz unterschiedliche Motivationen, alles ist dabei. Wir hatten auch Menschen aus der Ostukraine, die sagten, das Schlimmste, was sie sich vorstellen können, ist hier zu sterben. Dann lieber tot dort. Diese Verwurzelung ist so stark, dass das Gefühl der Sicherheit nicht so stark war, wie die Heimat.“

„Wenn man über die Autobahn dorthin [Anm.: nach Brno] fährt, sieht man als erstes Plattenbaugebiete, aber total viele. Als ich das erste Mal dorthin fuhr, das Auto voller Umzugskartons und Kleinkind, war ich ein bisschen schockiert. […] Ich wusste, wir ziehen dort auch in so eine Plattenwohnung. Da wurde mir das Herz schwer, aber wir haben dort Leute kennengelernt. Die Arbeit war schön, die Umgebung ist herrlich. Da war das nicht mehr hässlich, das gehörte dazu. Und wenn ich jetzt wiederkomme über die Autobahn, […] wenn ich genau diese Plattenbauten sehe – dasselbe Bild – dann machts mir Freude.“

„Ich finde es unbedingt wichtig, die Sprache zu sprechen. Wir haben auch Ausländer kennengelernt, die wussten, dass sie nur eine kurze Zeit dort sind und haben sich nicht die Mühe gemacht, tschechisch zu lernen. […] Wenn man nur eine kurze Zeit da ist, ist das eine Möglichkeit, aber man beraubt sich der Auslandserfahrung.“

„Die ein Oma kam aus Schlesien, für mich war das nicht relevant, es war bestimmt kein Tabu-Thema, aber ich habe nicht darauf geachtet, Oma war eher distanziert.“

„Gemüsesalat: Schlesisches Rezept, das macht meine Mutter auch noch.“

„Was macht eine Region lebenswert? Landschaft ist für mich wichtig. Möglichkeiten sich in der Natur zu bewegen. Ewas schönes zu sehen und zu riechen, also Wald, schöne Aussichten, Badegewässer, aber wenn ich schaue, in welchen Regionen wir gewohnt haben, die waren sehr unterschiedlich, da habe ich mich überall sehr wohlgefühlt. Ich habe keine speziellen Ansprüche, das irgendetwas da sein muss.“

„Pirna: Beziehungen knüpfen war schwierig. Ich kann nur darüber spekulieren. Es ist die ländlichste Region, wo wir jemals gelebt haben, außer da, wo ich geboren wurde ….“

„Beachten wir das Erbe / die Kultur der ankommenden Menschen genug? Man sollte sich dessen auf jeden Fall bewusst ein, es wäre günstig, wenn Mitglieder der Gesellschaft erkennen, dass diese Leute etwas mitbringen, Erfahrungen, Geschichte, Einstellungen. Ich bin aber unsicher, wie viel Einfluss das haben sollte. Wenn man hier lebt, muss man sich mit den Spielregeln, die hier gelten auseinandersetzen. Je nachdem aus welchem Hintergrund ich komme, finde ich diese Spielregeln seltsamer oder normaler. Grundsätzlich finde ich, dass die Regeln, die hier gelten, das Recht haben, dominanter zu sein. Berücksichtigen sollte man das, aber ich denke, nicht zu viel Rücksichtnahme. Und ich denke, wer bestimmte Einstellungen mitbringt, dazu braucht man auch keinen Migrationshintergrund, muss selbst schauen, wie stark er diese Merkmale nach außen kommunizieren möchte, oder ob er Gleichgesinnte findet, um das auszuleben. Da sind wir wieder bei dem Heimatthema. Ich denke, man kann mehrere Heimaten haben und man kann in verschiedenen Gruppen verschiedene Facetten seiner Identität stärker ausleben. Jeder Mensch ist Teil verschiedener Gruppen und in jeder Gruppe verhält man sich unterschiedlich und das ist ganz normal. Auf Arbeit spiele ich eine andere Rolle als als Mutter oder Ehefrau oder meinen Eltern gegenüber oder im Freundeskreis. Deshalb habe ich ja keine gespaltene Persönlichkeit, sondern verschieden Facetten meiner Persönlichkeit und Identität. Ich glaube auch, das ist der Schlüssel, also nicht diese scharfe Abgrenzung, das muss mehr gewürdigt werden, sondern an welcher Stelle zeige ich was. Da ist aber auch der einzelne verantwortlich, das muss man nicht der Gesellschaft aufbürden diese Verantwortung dafür.“

„Die deutsche Gesellschaft kann auch erwarten, dass es gewisse Anpassungsleistungen gibt. Egal ob jemand gewollt, geplant oder vom Schicksal hergespült hier ankommt, es gibt Regeln, Rechte und Pflichten und natürlich erwarte ich da Anpassungsleistungen.“

„Unterschied Ukrainer / 2015/16 geflüchtete: Das ist natürlich ein Wespennest. Ich denke schon das es Unterschiede gibt, aber vor allem ist es immer individuell. Selbst wenn man Tendenzen feststellt, muss man sich immer bewusst sein, der einzelne Mensch kann eine andere Einstellung haben.
Ich denke auch geografische Nähe und darum geht es dieses Mal, verpflichtet zu größerer Solidarität als für weiter entfernte Regionen. Also für meine Nachbarn muss ich stärker Verantwortung übernehmen, als für Menschen, die von weiter herkommen. Diese Menschen haben nämlich auch Nachbarn. Das man zuerst dem nächsten hilft und nicht dem übernächstem, das ist für mich völlig verständlich. Und das es in erster Linie Frauen und Kinder aus der Ukraine sind oder alte Menschen macht es auch einfacher. Dann die kulturelle Nähe …“

„Alles ist aber individuell. Es gibt auch schwierige Fälle der Menschen, die aus der Ukraine herkommen (Traumata, ohnehin schon schwierige Lebensverhältnisse, die durch den Bruch jetzt zutage treten, dann gibt es Wünsche, sie vergleichen sich auch untereinander und manche haben eben mehr Glück als andere, was Unterkunft anbelangt, was Unterstützungsleistungen anbelangt, jeder möchte viel Glück haben, leider ist das aber nicht so) Es kommen ja jetzt auch weiterhin Flüchtlinge an, aus anderen Ländern als der Ukraine und die brauchen ehrenamtliche Hilfe und nicht nur der professionellen Strukturen und der Verwaltung. Integration in die Gesellschaft ist nicht nur Verwaltung.“

„Ich habe den Eindruck, in der Verwaltung funktioniert das gut, die Fälle werden genauso schnell bearbeitet und genauso professionell. Aber was das ehrenamtliche Engagement betrifft, da schon. Es gibt auch unterschiedliche Rechte. Das wird sicher noch einmal ein Thema werden. Diese Massenzustromrichtlinie ist ja zeitlich begrenzt. Im Moment sind Drittstaatler, die aus der Ukraine geflüchtet sind, auch noch in einer besseren Lage kämen sie direkt aus ihrem Herkunftsland zu uns. Das wird aber vermutlich enden. Für diese wird der Absturz dann besonders steil sein. Tadschiksitan, Turkmensitan. Die können teilweise noch nicht einmal gut russisch, die fangen dann bei null an, Kultur und Religion sind auch anders. Da ist es dann sinnvoll zu überlegen, ob sie nicht in ihrem Kulturkreis schneller und besser neu anfangen können, auf ein Lebensniveau kommen, wo sie sich wohlfühlen, Freunde haben, sich ausdrücken können.“

„Integration ist ein Prozess, der von beiden Seiten abhängt, die aufnehmende Gesellschaft muss die Bereitschaft haben, andere Menschen aufzunehmen und sich auf neues einzulassen. Es ist immer wieder eine Herausforderung. Man hat es ja nie geschafft. Es kommen ja immer wieder neue Menschen. Das ist für Menschen sehr anstrengend, sich immer wieder neu auf die Menschen einzustellen. Um das zu relativieren, diesen Menschen würde es wahrscheinlich auch schwerfallen, wenn keine Ausländer kämen, sondern Menschen aus anderen Regionen Deutschlands. Es braucht Menschen, die offen sind für Begegnungen. Wir haben das selber in Brünn erlebt. Da gab es Menschen, die wollten uns kennenlernen, die haben uns geholfen, die Sprache zu lernen und waren offen, die Freizeit miteinander zu verbringen. Ohne die Bereitschaft derjenigen die kommen sich zu integrieren geht es nicht. Man kann viel erwarten von den anderen, aber von sich selbst muss man auch etwas erwarten. Nur in der Kombination haut es hin. Der einzelne hat keine Chance sich zu integrieren, wenn die aufnehmende Gesellschaft nicht bereit dazu ist. Es muss von beiden Seiten kommen. Zum Glück klappt es ziemlich oft, manchmal dauert es lange, manchmal klappt es auch nicht. Es braucht auch institutionelle Veränderungen.“

„Ich habe den Eindruck, dass die Institutionen seit 2015/2016 schon vielgelernt haben. Und dass die Verwaltungsseite besser funktioniert.“

„Manche empfinden die Zuwanderung auch als Bedrohung: Ich sehe gar nicht mehr meinesgleichen hier. Ich fühle mich fremd in meiner eigenen Stadt. Gerade auch im Straßenbild. Die Deutschen leben nicht so sehr auf der Straße, sondern in ihren Wohnungen, Gärten, Vereinen. In anderen Kulturen ist es normaler, dass man mehr draußen ist, im öffentlichen Raum. Diese Menschen sind dann auch mehr sichtbar - überproportional sichtbar. Das ist eine andere Lebensart. Man versteht sie auch nicht, sie könnten ja auch über mich sprechen.“

„Wir können auch ganz real nicht allen diesen Menschen helfen. In deren Heimatländern ist es sicher Mist und tatsächlich haben sie dort auch schlechte Zukunftsperspektiven und wenn die alle herkämen, wäre die Welt nicht besser. Damit muss man irgendwie einen Umgang finden.“

„Eine Ausstellung hat mich sehr beeindruckt mit Portraits mit Menschen mit Migrationshintergrund und die in Dresden leben. Manchen sieht man ihren Migrationshintergrund an, manchen gar nicht. Bei manchen kann es ja auch ein Irrtum sein. Das ist natürlich etwas, was den Ukrainern auch hier zugute kommt. Man sieht es ihnen nicht an. Sie sehen aus wie wir. […] Dort war ein Portrait von einem jungen Mann mit dunkler Haut, und unter jedem Portrait stand noch ein kleines Zitat: Was denkst Du, wenn Du mich siehst? Und ich fühlte mich so ertappt. Denn alle denkbaren Vorurteile in dieser Welt waren in meinem Kopf. Ich habe mich so geschämt.“

„Die Kriminalitätsrate ist höher bei Menschen mit Migrationshintergrund. Bei jungen Männern, egal welcher Nationalität ist die auch erhöht. Wenn verschiedene Merkmale zusammenkommen (keine Arbeit, fehlende soziale Kontrolle, keine Bleibeperspektive) dann kann man sich ausrechnen, dass die Gefahr eine größere ist. Aber es bleibt ein Individuum. Nicht jeder der solche Merkmale aufweist, ist gleich ein Krimineller. Aber man sieht es den Menschen von außen ja nicht an. Diese Vorsicht, die da anspringt, ist ja nicht unbegründet. Man muss halt nur sehr aufpassen, dass man jedem Menschen auch tatsächlich eine Chance gibt. Mindestens eine, oder mehrere, weil wir machen ja auch alle Fehler.“

„Manche Geflüchtete bringen nichts mit, nur das Handy in der Hosentasche und die Kleidung, die sie tragen. Dass die Ukrainer vielfach Papiere dabei haben, liegt auch daran, dass sie instruiert wurden. Die sollten alle einen Rucksack packen. Schon seit einigen Jahren gibt es eine Kampagne, dass die sich alle neue Pässe machen lassen sollen. Die ersten haben auch schon diese neuen Pässe. In dem Rucksack sollten Impfausweis, Dokumente, Pässe, Geburtsurkunde … drin sein. Wer sich daran gehalten hat, hatte das griffbereit. Das hatten viele mit. Ich weiß, dass manche Ukrainer jetzt noch einmal zurückfahren und Dinge holen.“

„Ich besitze zum Beispiel nur einen Ausweis. Als der Krieg relativ neu war, haben sich ja auch viele ganz große Sorgen gemacht, dass jetzt ein Atomkrieg kommt. Diese Angst habe ich nicht geteilt. Ich habe mir keine Gedanken über einen Pass gemacht. Das ist noch nicht so dicht an mir dran. Ich plane keine Aktivitäten diesbezüglich. Spontan würde ich sagen: Dokumente, Handy würde ich einpacken. Die Fotoalben: wäre schwer, die zurückzulassen; Musikinstrumente können auch nicht mit, die sind zu groß; Dinge, die man nicht kaufen kann … Bargeld ist sicher auch sinnvoll, Medikamente vielleicht.“

„Meine Vision für Pirna: Friedliches Zusammenleben in aller Unterschiedlichkeit. Es gibt immer Unterschiede. Selbst in einer vermeintlich homogenen Gruppe zeigen sich ganz schnell Unterschiede in Einstellung und Lebensart. Mit denen muss man einfach zurechtkommen. Ich wünsche mir, dass die Menschen diese Unterschiede respektieren – leben und leben lassen.“

„Ich wünsche mir auch Respekt im Umgang miteinander als Grundeinstellung, dass man auch akzeptiert, dass manche anders sind. Und ich wünsche mir Großzügigkeit, ohne sich immer furchtbar aufzuregen, dass man auch über Dinge hinweggehen kann, ohne nachtragend zu sein. Und dass man anderen auch eine zweite Chance gibt und sich selber auch.“

Fotos: David Nuglisch

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